Kennst du Storyteller?
Diese wunderschönen Skulpturen, die eine Frau oder einen Mann zeigen, meist mit offenem Mund. Sie halten viele Kinder im Arm, die gespannt ihren Geschichten und Liedern lauschen.
Ihren Ursprung haben sie von den Pueblo in New Mexiko.
Meine Tante, mit der ich vor vielen Jahren in Taos war, haben sie gleich fasziniert. Ich fand sie damals ganz nett, ich war zu jung und ungeduldig, wollte höher, größer, weiter, nur nicht lange aufhalten.
Ein paar Jahre später reiste sie mit meinen Eltern nach Taos, da war es um sie geschehen. Sie entdeckte eine Storyteller-Figur in die sie sich sofort verliebte.
Zum Kaufen konnte sich meine Tante nicht gleich entscheiden, diese Erzählerin hatte ihren Preis: zu teuer, beschloss sie.
Doch es ließ sie nicht los, fast täglich ging sie hin, schlich um die Figur herum, nahm sie in die Hand - und entschied sich dagegen. Bis eines Tages diese Erzählerin nicht mehr da war.
Erst enttäuscht und dann wütend über sich selbst, fragte sie sich: Warum habe ich gezögert? Es ist auch nicht so, dass sie es sich nicht hätte leisten können.
Jetzt suchte sie sich Ausreden, warum es gut war, ihrem Impuls nicht zu folgen. Ich kenne meine Tante, das muss ihr unsäglich schwergefallen sein.
Zwei Wochen später, wieder zurück bei ihr daheim in Oakland, Kalifornien, war ihr Geburtstag.
Wahrscheinlich kannst du dir denken, was jetzt kommt. Am Morgen stand ein fein verhülltes Geschenk auf ihrem Tisch. Den Glücksschrei habe ich bis nach München gehört, als sie es auspackte.
Hatte mein Vater heimlich diese Skulptur erworben, um es seiner Schwester zu schenken. Solche Aktionen liebe ich.
So bekam sie einen Ehrenplatz im Wohnzimmer. Bis 1991 ein Feuersturm Oakland in Schutt und Asche legte. Ihr Haus war eines der Ersten, dass ein Opfer der Flammen wurde.
Ich möchte jetzt nicht weiter auf den Verlust des Heimes und auf das Trauma eingehen, das ist eine andere Geschichte.
Nach einer gefühlt unendlich langen Zeit des Bangens und Hoffens durfte sie zu ihrem ehemaligen Haus zurück, um zu sehen, was die Flammen übriggelassen hatten. Der erste Blick war erschreckend, ein Kamin, der wie ein Mahnmal aus dem Aschehaufen ragte, gab ein wenig Orientierung, wo sich einst welcher Raum befand. Sie fing an zu graben, fand einen Metallklumpen, der wohl mal ihre Waschmaschine war. Irgendetwas muss doch heil geblieben sein! Nachdem sie sich eine Stunde lang durch die Asche gewühlt hatte und schon aufgeben wollte, fand sie die Storytellerin.
Puh, ich glaube dieser Juchzer, war auch bis München zu hören. Dieser Schrei hallt nach - ich kann ihn heute noch vernehmen.
Das Wunder daran ist, sie ist so gut wie unbeschädigt.
Ein Schutzengel? Ist diese Figur der Schutzengel meiner Tante? Gab es darum diese innige Beziehung auf den ersten Blick?
Als ich sie vor vier Jahren das letzte Mal besuchte, habe ich ihr ein Storyteller-Bild gezeichnet. Hier erzählt eine Affenmama den Kindern die wundervollen Geschichten, die das Leben schreibt. Mit Affen, weil meine Tante Affen liebt. Natürlich konnte ich es nicht lassen ihre heißgeliebte Figur zu fotografieren.
Hast du auch einen Herzenswunsch, dem du nicht gleich gefolgt bist?
Ich freue mich auf deine Geschichte.
Alles Liebe
Sabine